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Date: 2007-06-30
Von der Kunst der Terrorprävention
Die Gefahr ist real. Jeder von uns ist betroffen und wird morgen schon Opfer werden. Gemeint ist nicht ein Terroranschlag, sondern die vorgebliche Prävention dieses. Die Instrumentalisierung der Angst und die Unterordnung aller bisherigen Standards sind symptomatisch für diesen Feldzug der nicht gewonnen werden kann - der nicht gewonnen werden soll, denn sonst verlöre er seine Wirkung.
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Heute schon gescannt?
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Wo und wann wurde etwas versäumt? Wer ist daran schuld, dass nicht rechtzeitig vorbeugende Maßnahmen gesetzt wurden? Die Professoren, die Uni-Leitung, der psychologische Dienst, die Polizei? Kurzum, es scheint schließlich festzustehen, dass auch bei uns etwas geschehen muss, und zwar deshalb, damit nicht auch bei uns so etwas geschieht. Die Zauberformel lautet: Prävention, und zwar konsequent, flächendeckend, möglichst immer und überall.
Nun scheint offenkundig, dass dieser Trend zur "Vorbeugung" unsere Freiheit langfristig bedroht. Sicherheit ist wichtig, aber bei weitem nicht alles, zumal in einer Gesellschaft, die, Terrorismus hin oder her, ohnehin weitgehend sicher ist! Sind wir denn wirklich so blind, um nicht zu bemerken, dass auch bei uns, in Europa, die Angst vor Anschlägen geschürt wird, damit die diversen Sicherheitsdienste und -behörden mehr Zugriff auf unsere Privatsphäre bekommen, was - nebenbei gesagt - hervorragend in die Unternehmensphilosophie der Hersteller von Sicherheitstechnologien passt? Umso verantwortungsloser, wenn Massenmedien das Angsterzeugungsspiel mitspielen.
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Das wäre das Ende der Freiheit. Und wozu? Nur um des Versuchs willen, etwas zu verhindern, nämlich den irgendwann erwartbaren Amoklauf eines Einzelnen, der sich unter Bedingungen, die nicht die eines fugenlosen Gefängnisses sind, ohnehin nicht verhindern lässt. Der aufmerksame Beobachter der Entwicklung gewinnt deshalb den Eindruck, dass die wirkliche Bedrohung unserer freien Gesellschaft von den Befürwortern des Überwachungsstaates ausgeht, die sich auf Terror, organisiertes Verbrechen und Amoklauf berufen, um ihre Interessen unter dem Titel einer Sicherung des Gemeinwohls durchzusetzen.
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Moderne Demokratien sind fein ausbalancierte Gemeinschaften. Weil wir es gewohnt sind, in solchen Gemeinschaften zu leben, haben wir oft kein Gespür mehr für die Segnungen, die uns durch die historisch gewachsene Verzahnung von demokratischer Willensbildung, politischer Repräsentation, Rechtsstaatlichkeit, Grundrechten, freier Marktwirtschaft und Sozialstaatsorientierung zuteil werden.
Die westlichen, zumal europäischen Demokratien seit 1945 haben es zuwege gebracht, Gesichtspunkte möglichst großer Freiheit, ökonomischen Wohlstands und sozialer Gerechtigkeit auf eine Weise simultan zu berücksichtigen, die in der Geschichte einmalig ist.
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Mittlerweile gibt es nicht nur alarmierende Anzeichen dafür, dass die sozialstaatliche Komponente unserer Demokratien von Auszehrung bedroht ist. Es steht auch zu befürchten, dass die Praxis der Freiheit einem Wandel gehorcht, an dessen Ende die Idee der Freiheit selbst nicht mehr dem entsprechen wird, wofür sich die Menschen unseres Kulturkreises so lange, und zum Teil mit großen Opfern, eingesetzt haben.
Natürlich werden wir überwacht, wenn wir uns auf Bahnhöfen, öffentlichen Plätzen, in Banken und großen Kaufhäusern bewegen, seit einiger Zeit auch auf Autobahnen durch die "Section Control", die man - angeblich - nur zur Geschwindigkeitskontrolle verwenden will, aber praktisch zur Komplettierung von Bewegungsprofilen einsetzen könnte. Könnte! Immer mehr elektronische Kontrollen, die eine Menge bisher ungenützter Möglichkeiten einschließen, werden auch von Privaten etabliert, die damit ihr Eigentum oder die Sicherheit ihrer Kunden besser schützen möchten. Weshalb also sollte sich der Staat prinzipiell zurückhalten, wenn Sicherheitsargumente für die Installierung von Technologien sprechen, die notfalls eine Identifizierung von Personen, ihrer Wege, Bewegungen und Aufenthalte gestatten?
Tatsache ist, dass die Öffentlichkeit immer weniger abwehrend auf elektronische Überwachungsmethoden reagiert. Dass jemand beim Internetsurfen auf Sexseiten oder bei einer Handyverabredung mit einer Frau, die nicht die eigene ist, im Zuge einer Polizeioperation gegen das Kinderpornogeschäft oder einen Mädchenhändlerring gleich mitüberwacht wird, mag den sprichwörtlich anständigen Bürger kalt lassen. Zu Unrecht. Denn hier liegt dann ein Malheur vor, das jeder schon deshalb auf sich beziehen sollte, weil die Grundrechte für alle gelten und daher ihre systembedingte Verletzung im Einzelfall uns kollektiv verletzt.
Man kann Identitätskontrollen sicherer machen, indem man Personaldokumente mit biometrischen Daten ausrüstet. Kein Zweifel, das wirkt an der Oberfläche vertrauenerweckend. Betrachtet man allerdings die Biometrie als Teil eines in Zukunft immerhin möglichen Präventionsstaates, der, statt durchgehend mit physischer Gewalt, vorwiegend mit den neuen Sicherheitstechnologien arbeitet, dann erscheint sie in einem weniger freundlichen Licht. Denn biometrische Daten generieren nicht nur Identifikationsspuren, die über das äußere Verhalten von Menschen in der Gesellschaft Auskunft geben. Sie liefern auch Informationen über Gesundheit und psychische Befindlichkeit, wobei heute noch gar nicht klar ist, welche Informationen in welcher Tiefe - Stichwort: DNS - gewonnen werden können.
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Gewiss, das ist ein Szenario, welches man im Tone der Ironie zu schildern vermag. Doch wer weiß, wie lange noch? In den USA spricht man bereits von einer Post-9/11-World, der Präventionswut nach dem Anschlag auf das World Trade Center. Gemeint ist die Domestic Surveillance, die Überwachung sozusagen im eigenen Haus, bei der es dem Staatssicherheitsdienst NSA erlaubt wurde, US-Bürger ohne Gerichtsbeschluss auszuspionieren, falls der Verdacht besteht, sie seien irgendwie mit irgendwelchen Leuten in Verbindung, die irgendwie im Verdacht stehen, irgendwie terroristisch zu sein. Dieses "häusliche" Modell ist, zugunsten einer "Optimierung" des Gemeinschaftslebens, erweiterungsfähig: Durchleuchtung auffälliger Individuen, Bekämpfung des Sozialleistungsmissbrauchs, Erstellung von Gesundheitsprofilen und so weiter. Willkommen in der schönen neuen Welt der Hochsicherheitsdemokratie!
Zum Schluss: Das nächste Massaker irgendeines Verrückten irgendwo auf der Welt wird sich so oder so nicht verhindern lassen. Warum also nicht Widerstand leisten gegenüber den Vordenkern und Praktikern einer Prävention, die unser aller Freiheit, unser Grundrecht auf Privatsphäre bedroht?
Volltext:
http://www.diepresse.com/home/spectrum/zeichenderzeit/300411/index.do
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edited by Mac Gyver
published on: 2007-06-30
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