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Date: 1998-11-14

Diagonal zum Thema Ueberwachung


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Der unten angefügte Dialog wird
(leicht verkürzt) heute ab 17.00 Radio OE 1
im Rahmen eines "Diagonal" zum Thema
"Überwachung" ausgestrahlt


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WOZU WANZEN

Dramatis Personae:

Herr Eins
Herr Null

(Der Innenminister spricht im Radio, beim
Wort "Sicherheit" wird abrupt abgedreht)

HERR NULL: So, das genügt.
HERR EINS: Wollen Sie nicht hören, was der
Innenminister zu sagen hat?
NULL: Nein. Man weiss, was alle
Innenminister dieser Welt wollen, wenn sie
die Worte Telekommunikation und Sicherheit
im Munde führen.
EINS: Was denn?
NULL: Gesetze, die das abdecken, was
ohnehin schon flächendeckend praktiziert
wird. An- und Abzapfen und Filtern,
Abspeichern und Indizieren.
EINS: Wer macht das?
NULL: Verschiedene Nachrichtendienste auf
der ganzen Welt.
EINS: Aus welchen Ländern?
NULL: In erster Linie die USA, England,
Kanada, Neuseeland und Australien.
Ausserdem Frankreich und Deutschland, sowie
Russland.
EINS: Was wird abgehört?
NULL: Alle Telefonate, Telexe und Faxe, die
über irgendeinen Satelliten gehen.
EINS: Ist das nicht reine Paranoia?
NULL: Dann muss das technische Komitee der
Europäischen Kommision auch paranoid
gewesen sein, als es diesen Tatbestand in
einem offiziellen Papier festgehalten hat.
Spät, aber doch - im Frühjahr 1998.
EINS: Seit wann existieren solche
Abhörsysteme?
NULL: Das Amerikanisch-Britische System mit
dem Codenamen "Echelon" wurde erstmals In
"The Puzzle Palace", dem Standardwerk James
Bamfords über die National Security Agency
1984 abgehandelt. Systematisch abgehört
wird aber, seit es Kommunikationsatelliten
gibt.
EINS: Demnach ist E-Mail abhörsicher, weil
sie nicht über Satelliten geht?
NULL: Im Gegenteil. E-Mails sind besonders
einfach abzufangen und noch einfacher zu
verarbeiten. Sie sind bereits im handlichen
Textformat verfasst und an den wichtigen
Knoten des Internet sehr einfach
abzuzapfen.
EINS: Wer bitte, soll die Informationen
alle lesen?
NULL: Die unterste Schicht des militärisch-
elektronischen Bürokratie: grosse Rechner.
EINS: Computer können nur mechanisch lesen,
aber nichts verstehen.
NULL: Sie sollen nur nach dem jeweiligen
Stichwort-Katalog sortieren, und das
Sortierte in eine Datenbank ablegen.
EINS: Gibt es eine Methode, dem zu
entkommen?
NULL: Ja. Meiden Sie Namen, besonders
solche von Politikern, Firmen,
internationalen Krisenherden, Gewalt- und
Kriegsmetaphern in jedem internationalen
Telefongespräch.
EINS: Das gilt auch für E-Mail, nehme ich
an?
NULL: Mit E-Mail sollten Sie prinzipiell
keine sensiblen Informationen
transportieren. Ausser Sie benützen ein
sicheres Verschlüsselungsprogramm.
EINS: Können Sie eins empfehlen?
NULL: Pretty Good Privacy, abgekürzt PGP.
EINS: Wie teuer und wo erhältlich?
NULL: Gratis. Downloads überall im Netz,
zum Beispiel über www.pgp.at.
EINS: Aber gegen Wanzen hilft das nicht.
Null: Wozu Wanzen, wenn ein Gerät wie das
da vorhanden ist?
EINS: Wieso? Das ist ein ganz normales ISDN-
Telefon mit ein paar Zusatzfunktionen.
NULL: Einer empfindlichen
Freisprecheinrichtung, zum Beispiel, die
freigeschaltet werden kann, ohne dass Sie
etwas davon merken. Dasselbe gilt für jeden
Netzwerk-Computer, der mit einem Mikrophon
ausgestattet ist.
EINS: Auch Handys haben Mikrophone. Was ist
damit?
NULL: Den flüchtigen Bankier Rieger hat man
bis an die Grenze zu Italien verfolgen
können, weil er ein sogenanntes
Wertkartenhandy bei sich hatte.
EINS: Die sind doch anonym.
NULL: Behaupten interessierte Stellen.
Tatsächlich hat jedes Funktelefon eine
individuelle Kennung in die Hardware
eingeschrieben und gibt in regelmässigem
Abstand dem Netzbetreiber seine Position
bekannt.
EINS: Aber erwischt wurde der Bankier damit
nicht.
NULL: Nein. Der hat sich in einem anderen
digitalen Schleppnetz selbst gefangen.
Jemand aus seiner Begleitung war so
unvorsichtig, mit einer Kreditkarte zu
bezahlen.
EINS: Handys und Kreditkarten als
Bewegungsmelder, Computer und Telefone, die
als Wanzen funktionieren - wie führt man
da vertrauliche Gespräche? Ohne Elektronik,
beim Spazierengehen?
NULL: Im Prinzip Ja. Aber tun Sie das
lieber nicht im Londoner Stadtteil East
Ham, der wird mit 140 Kameras
flächendeckend überwacht.
EINS: Wer überwacht die Bilder?
NULL: Wer schon - Computer. Solche, die mit
sogenannter Biometrie-Software ausgestattet
sind.
EINS: Biometrie?
NULL: Menschenvermessung.
EINS: Gab es das nicht schon in den
dreissiger Jahren?
NULL: Ja, nur damals suchte man einen
allgemeinen Verbrechertypus, heute findet
man das Individuum damit.
Biometrie ist die letzte Schwelle zur
totalen Kontrolle des elektronischen
Komplexes über die gesamte Lebenswelt.
EINS: Der elektronische Komplex?
NULL: Miltärische und andere
Nachrichtendienste, alle Arten von Polizei,
Teile der Industrie, Justiz und Politik.
EINS: Das ist ja schon der halbe Staat. Was
ist mit den Medien?
NULL: Die Medien spielen die passende
Begleitmusik. Technische Systeme, die
unverwechselbare Daten des menschlichen
Körpers aufnehmen und prozessieren, werden
als technische Errungenschaften abgefeiert,
die uns das Leben leichter machen.
EINS: Überwachung als Convenience und
niemand da, der hinterfragt?
NULL: Niemand ist übertrieben, wenn auch
das Stellen bestimmter Fragen immer
seltener wird, seitdem auch in den Medien
die Marketing-Abteilungen regieren.
EINS: Was wäre denn die richtige Frage,
wenn, sagen wir, ein Handy auf den Markt
kommt, das seinen Benutzer nicht mehr durch
Eingabe eines Codes, sondern mittels
Fingerabdruck identifiziert?
NULL: Die richtige Frage wäre, ob dieses
Telefon für die Zielgruppe
"Schwerverbrecher" entwickelt worden ist.
EINS: Was kann man gegen diese Entwicklung
tun?
NULL: Theoretisch müsste man nur den
bürgerlichen Rechtsgrundsätzen zur Geltung
verhelfen, deren zentraler Bestandteil die
Unschuldsvermutung ist. Die wurde in allen
westlichen Demokratien während der letzten
dreissig Jahre de facto ausser Kraft
gesetzt.
EINS: Und praktisch? Was kann der
sogenannte einfache Bürger tun?
NULL: Dem bleibt nicht sehr viel anderes
übrig, als sich bei der geforderten
Weitergabe persönlicher Daten egal an wen
so zu verhalten, wie er es dem Staat
gegenüber schon jetzt mit seinen Steuern
praktiziert.

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edited by
published on: 1998-11-14
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